Heute schreibt IbizaHEUTE-Chefredakteur darüber, wie der Massen-Tourismus Ibiza, die Balearen und ganz Spanien überrollt. Und wie wenig dagegen getan wird, weil es ein Millionen-Geschäft ist. Und nicht selten auch die Politik da kräftig mit verdient…
Liebe Leser,

schauen Sie sich bitte das Foto an, das Rosi Stolz am Morgen aufgenommen hat. Das ist die Bucht Talamanca, gleich neben der Insel-Hauptstadt Eivissa. Rund 100 Boote ankern dort schon, dabei hat die Saison bisher nicht einmal angefangen. Die dunklen Stellen im Wasser sind meist Seegras, die wenigen Hellen zeigen an: Hier unten ist Sand. Und genau da darf man ankern. Auf keinen Fall in der wertvollen Posidonia, dem Neptungras. Es ist die Kinderstube von kleinen Fischen. Posidonia-Wiesen sorgen dafür, dass das Meer um Ibiza und Formentera so klar und einmalig ist. Das Neptungras bindet auch mehr CO2 als die gleiche Fläche Regenwald. Es ist also sehr, sehr wichtig im Kampf gegen die Erderwärmung. Und das Seegras ist extrem empfindlich und wächst nur einen Zentimeter pro Jahr.
Jetzt liegen dort an die 100 Yachten. Ihre Anker und Ankerketten zerstören an einem einzigen Tag, was in 30, 50 oder gar 100 Jahren gewachsen ist. Und sie zerstören unsere Umwelt. Dazu kommt: Die Menschen auf den Yachten produzieren Abwasser, oft belastet mit Chemie. Beim Duschen, beim Abwasch des Geschirrs – und der Toiletten. Davon gehen 80 Prozent ins Meer. Ich bin sicher, nur wenige benutzen ihren Schmutztank. Denn der muss nach ein paar Tagen abgepumpt werden. Aber ich kenne keinen der teuren Inselhäfen, wo es eine perfekte Pumpstation zum Leeren der Tanks mit dem Schmutzwasser geben würde. Außerdem kostet das Geld. Also, dann gleich rein ins Meer …
Die Talamanca wird sterben. Denn, wenn jetzt Ende Juni schon so viele Schiffe hier ankern, wie wird es erst im Juli und August hier aussehen? Sind es dann 150 Yachten, oder 200, die hier ankern, weil sie das Geld für die Häfen sparen wollen – meist rund 200 Euro pro Tag für 12 Meter-Schiffe – oder schlicht und einfach keinen Platz in den Yachthäfen finden? Und kaum ein Boot der Behörde ist zu sehen, wo eine Wasserschutz-Polizei, hier ist es die Guardia Civil, die Yachties bestraft, die das Seegras zerstören. Manchmal kommen Umweltschützer in die Buchten, klären auf, wie wichtig das Seegras ist, was viele der Bootsbesitzer noch nicht einmal wissen, und betteln, dass die Yachties anderswo ankern, wo kein Seegras wächst. Manche kommen dem Wunsch mit schlechtem Gewissen nach, andere kümmern sich nicht darum. Strandrestaurants – und das ist jetzt kein Witz – müssen Strafen von 2000 oder 5000 Euro zahlen, wenn sie fünf Meter Matten vor den Eingang legen, damit ihre Gäste nicht mit den Schuhen im Sand versinken. Strafen für das Ankern im Seegras gibt es nicht. Steht so nicht im Gesetz. Natürlich müsste das sofort geändert werden. Passiert aber nicht.
Das Schlimmste für mich ist: Dieses wilde Ankern und die vielen Boote sind nur ein Aspekt, wie Ibiza vom Massentourismus zerstört wird – und sich selbst zerstört. Die riesigen Kreuzfahrtschiffe, die das kleine romantische Hafenviertel La Marina mit bis zu 8000 Passagieren überschwemmen, dürfen weiter im Hafen anlegen. Es können auch gleichzeitig zwei Schiffe sein oder auch mal drei. Das Verkehrs-Chaos der Busse, Taxen und Bummler ist programmiert. „Wenn ich die Klötze im Hafen sehe, bleibe ich weg von der Stadt“, diese Sätze höre ich oft. Im Westen der Insel ist ein ganzer Hügel voller Pinien abgeholzt worden. Dort sollen ein Dutzend oder mehr Luxus-Villen entstehen. Die Stückpreise solcher Villen liegen auf der Insel zwischen 4 und 6 Millionen Euro. Und die Villen werden – wie üblich – meist nur vier oder sechs Wochen im Jahr bewohnt sein. Den Rest stehen sie leer. Dafür wurde dann ein Stück Natur zerstört. Wer gibt dafür die Baugenehmigung? Die Gemeinde natürlich. Politiker, die von den Menschen auf der Insel gewählt wurden. Sie haben versprochen und geschworen, dass sie ihre Arbeit zum Wohl der Menschen und der Insel ersetzen. Tun sie das wirklich?
Ich kann das Thema weiter fortführen. Etwa mit den Versprechen der Politiker, die nach Protesten von Tausenden Menschen versprachen, gegen den Massen-Tourismus etwas zu tun, der Inflation, Wohnungsnot und Umweltbelastung mit sich bringt. Wo und wie denn? Fast schon stolz vermelden stattdessen die Tourismus-Experten, dass bis Mai 15 Prozent mehr Touristen auf die Balearen kamen als im Vorjahr. Und auch von der Beschränkung der Autos, die in der Saison per Fähre auf die Insel kommen, habe ich nicht mehr viel gehört.
Ein Leser hat mir einen klugen Brief über die Problematik von Massentourismus, Umweltschutz und Zerstörung der Insel geschrieben und am Schluss festgestellt, dass meine Worte inzwischen nach Resignation klingen. Ja, es ist so. Wie viel von uns sehen wir, wohin der Kurs geht. Wenn wir beim Bild der Schiffe bleiben, geht er direkt auf die Klippen. Und das immer schneller …
Und das nicht nur auf Ibiza und den Balearen. Im Málaga gingen jetzt Tausende auf die Straßen und protestierten dagegen, dass sie vom Tourismus aus ihrer eigenen Stadt verdrängt werden. Eins der Protest-Aussagen lautete: „Jeder Tourist mehr bedeutet einen Nachbarn weniger!“ Protest auch auf den Kanaren gegen Massen-Tourismus und die Massen von den Kreuzfahrtschiffen, die sich durch die Stadt wälzen. Ich war mit dem Segler „Sea Cloud“ auf Kreuzfahrt auf den Kanaren. Unsere 80 Passagiere fielen gar nicht ins Gewicht, dafür aber die 7000 von der Aida, die mit gefühlten 200 Bussen von dem Pier in die Insel-Landschaft gekarrt wurden, weiter 100 Busse von einem großen Norweger und 200 Busse von einem italienischen Kreuzfahrer. Die großartige Natur der Insel erleben? Ging kaum! Da waren schon Hunderte oder Tausende Kreuzfahrer, die die Busse ausspuckten.
Was tun gegen diesen Wahnsinn, der Massen-Tourismus heißt, der nicht zuletzt durch billige Airbnb-Mietangebote und billige Kreuzfahrten angeheizt wird? Die Veranstalter verdienen dabei Millionen und werden weiter aufstocken, noch mehr Menschen auf die Schiffe schicken, noch mehr Flieger vollmachen. Barcelonas Bürgermeister will die radikale Lösung und alle Ferienvermietung verbieten. Also keine neuen Lizenzen genehmigen und die alten nicht erneuern. Prompt musste er sich von der wütenden Opposition sagen lassen, dass er die Wirtschaft und die Vermieter von Ferien-Immobilien schädige und dass solche Pläne gleich im Mülleimer landen würden, wenn sie an der Macht wären.
Was könnte helfen? Vielleicht wirklich nur der Protest der Menschen, die auf den Inseln und den Städten leben, die vom Tourismus überrollt werden. Solche Proteste haben auf Ibiza übrigens schon zweimal funktioniert. Es war 1977, als ein Insel-Investor im Gebiet der Salinen Hotels mit 20.000 Betten bauen wollte, und 1990 als Proteste verhinderten, dass die Hügel um die Salinen mit Luxus-Villen zugebaut wurden. Damals hat es funktioniert. Sogar in finsteren Zeiten der Franco-Diktatur, die keinen Protest duldeten, gingen auf Ibiza 20.000 Menschen mutig für den Schutz der Salinen auf die Straße. Sie retteten die Salinen – und legten den Grundstein für den heutigen Naturpark Salinen. Vielleicht funktionieren solche Proteste auch jetzt.
Mit diesem Gedanken der Hoffnung wünsche ich Ihnen einen schönen Sonntag. Und wenn Sie auf Ibiza und Formentera sind, genießen Sie trotz meiner trüben Gedanken die Inseln, denn sie sind einmalige Paradiese. Hoffen wir und setzen wir uns dafür ein, dass es so bleibt.
Herzlichst, Ihr Dieter Abholte