Der Prediger in Strapsen

Foto: Patrick Runte
Sven Oliver Puch wollte eigentlich Pfarrer werden. Stattdessen landete er auf Ibiza, leitete einen Nachtclub, scheuchte Spitzensportler über die Insel, ist heute einer der bekanntesten Entertainer des Eilands. Dass Kirche und Spaß-Business jedoch enger beieinanderliegen als man glauben mag, das und mehr erfuhr Thomas Abholte beim Treffen mit dem sanften Hünen.

Steppke in Papas viel zu großen Schuhen
Wenn er auftaucht, wird es dunkel. Sven Oliver Puch wirft einen langen Schatten. Und einen breiten. Eine Erscheinung, die signalisiert: Mit dem legst du dich besser nicht an. So jemand steht eigentlich an der Tür edler Clubs. Macht dem englischen Begriff für Türsteher – Bouncer – alle Ehre. An ihm prallt man garantiert ab. Oder er steht als Sicherheitsmann neben Promis.

Ein paar Jahre später hätte Sven Oliver Puch (2. v. l.) nicht nur die Stiefel seines Vaters gesprengt. Hier mit zwei seines Animateur-Teams im Cala Pada, bei der Einladung zum Wasserball-Turnier. Er will nur spielen… ehrlich…
Aber all das ist weit gefehlt. Er steht bestenfalls hinter den Promis und hetzt sie vor sich her. Wie die Biathlon-Nationalmannschaft, die auf Ibiza mit ihm fit blieb. Noch lieber holt er aber das Make-up raus oder wirft sich in bunte Kostüme, um Kinder und Erwachsene in die Welt aus Fantasie und Spaß mitzunehmen. Und eigentlich wollte der muskelbepackte Hüne sogar Pfarrer werden. Größer als Pfarrer in Berlin und Animateur auf Ibiza kann der Unterschied kaum sein – oder doch nicht…?
Klein Sven war ein echter berliner Steppke, mit jeder Menge Flausen im Kopf und viel zu viel Energie. Die sollte er im Schwimm-Verein abbauen. „Ich war gut, aber eigentlich zu faul für Höheres“, erinnert er sich auf unserer gedanklichen Reise in die Vergangenheit. Sein Trainer sah das indes anders. Er erkannte das Talent des 12-jährigen Rückenschwimmers, damals ein drahtiger Strich in der Landschaft. Mit einer Fantasie-Zeit meldete er ihn bei den Berliner Meisterschaften an. Eigentlich hoffnungslos. „Meine wirklichen Zeiten waren um Welten zu schlecht“, gibt er zu.

Wasser war immer zentrales Element. Mit zwölf kam Sven in den Schwimm-Verein, mit 17 (Bild links) war die Sportlerfigur schon sehr ausgeprägt
Vielleicht war aber eben dieser erste Auftritt auf einer „großen Bühne“ das Schlüsselerlebnis für alles, was dann kam. Bei dem er erlebte, wie sehr Adrenalin und Jubel beflügeln können. Kurz: Gegen die echt qualifizierte Konkurrenz kam er in den Ausscheidungen mit 15 Metern Vorsprung ins Ziel, ging direkt ins Finale, wurde Dritter und Mitglied des Bundesteams. „Für mich blieben aber der ,Kick‘ und Spaß ausschlaggebend. Mir fehlte die Disziplin, um als Sportler dauerhaft erfolgreich zu werden.“ Und so endete das Kapitel sportlich eher leise, hinterließ aber ein breites Kreuz. Das begleitet ihn bis heute. „Ich muss Gewichte nur anschauen und lege Muskelmasse zu“, sagt er bescheiden. Meinen Neid hat er.
Und ganz ehrlich, er ist schamloser Tiefstapler dabei. Langjährige IbizaHEUTE-Leser erinnern sich vielleicht an die „Skike“-Geschichte und das E-Mobilitäts-Rennen. Der Mann ist einfach nicht platt zu bekommen. Ich habe noch nie so geschwitzt wie beim Skiken… eine Art Ski-Langlauf auf Rollen, das er auf Ibiza anbietet und zu dem er ein paar Redaktions-Mitglieder mitgenommen hatte. Darunter mich. Bei ihm hat’s gerade mal für ein paar Wasserperlen auf der Stirn gereicht.

Zurück nach Deutschland, zu einem Jungen auf der Suche nach sich selbst. Religion, oder besser der Glaube, spielten für Sven immer eine große Rolle. Er besuchte eine Konfessions-Schule. „Damals wollte ich Pfarrer werden, den Menschen nah sein und ihnen helfen“, weiß er noch genau. Für den Freigeist erwiesen sich die eng gesteckten Grenzen der Religion aber doch als der falsche Weg. „Insgesamt die geringe Flexibilität im damaligen Deutschland – das erdrückte mich regelrecht“, reflektiert er.
1973, da war er sieben Jahre alt, kam er mit seiner Mutter zum ersten Mal nach Ibiza. „Die Eindrücke der Insel haben sich tief in mir verankert. Vielleicht auch, weil es eine schwierige Zeit für mich war, meine Eltern hatten sich getrennt. Die Insel hatte dagegen so viel Leichtigkeit. Alle waren so offen.“ 13 Jahre später, als 20-jähriger Student in Berlin, fühlte er ein ähnliches Verlorensein in einer Welt, die nicht seine war.

Auf Ibiza erhob er Animation zur aufwendigen Kunst
Der Zufall baute eine Brücke zurück auf die Insel, mit der Sven so viel Positives verband. „Der beste Freund des Vaters meines besten Freundes – was für ein Klischee – suchte jemanden für einen Job auf Ibiza. Also hab ich meine Sachen gepackt und bin los. Am 23. April 1986 begann für mich mein neues Leben. Ich habe mich sofort – und bis heute anhaltend – in die Insel verliebt.“ Auch wenn der zweite Eindruck, sagen wir mal, gewöhnungsbedürftig war:
Am Flughafen wartete der Freund – in allen Farben und Geschmacksverirrungen eines Ibiza der 80er: Ballonseide-Sakko, Cadillac, Goldkette. „So ziemlich die erste Station war das ,Zoo‘ auf der Hafenmeile. In der Hoch-Zeit des schrillen Ibizas. Ein echter Kulturschock für einen, der gerade aus dem Germanistik-Studium kommt. Aber halt auch echt cool.“ Vor allem, weil er sich dort gleich ein weiteres Mal verliebte: in seine Lebensgefährtin, mit der er die kommenden sieben Jahre sein Leben teilen sollte.

Sven und sein leider lang verstorbener Vater Hans-Jürgen
Sven begann im Club Cala Pada als Animateur. Ohne die geringste Ahnung davon zu haben, was man als Massen-Unterhalter eigentlich macht. „Ich konnte ja eigentlich nix – außer Schwimmen, Wasserball…“ Jetzt war natürlich Aerobic gefragt. Und Spaß verbreiten. Nur gut, dass damals fast alle fast alles locker nahmen. „Aerobic? Ich konnte gerade mal Klappmesser. Aber ich hatte im Prinzip Narrenfreiheit. Es gab keine Regeln oder Vorgaben.“ Und so entwickelte Sven eine ganz eigene Art der Gästeunterhaltung mit Sport, vor allem aber mit Show. Die Programme des Cala Pada wurden inselweit berühmt. Sven und das Team entwickelten ganze Musicals. Je schriller desto besser. Ein Muskel-Athlet in Strapsen oder im Cats-Make-up? Klar!
Sehr interessant war die Reaktion meiner Eltern auf meine Flucht aus Deutschland. Zuerst fand meine Mutter es toll – der Sohn sollte mal seine Erfahrungen sammeln und sich die Hörner abstoßen. Mein Vater war allerdings gar nicht glücklich, dass ich abhaute, statt meinen Weg zu machen. Als dann klar wurde, dass Ibiza mein Zuhause wird, in dem ich bleiben und mein Leben gestalten würde – ohne seriöse Karriere – drehte sich das genau einmal um. Meine Mutter machte sich große Sorgen und mein Vater fand es toll, einen Traum zu erfüllen. Am Ende waren beide happy mit ihrem Sohn und seiner Entscheidung.“

Kleine, intime Konzerte und Touren in der Natur sind für Sven der wichtige Ausgleich zum Show-Trubel
Nur einmal gab es den Versuch der Rückkehr nach Deutschland. Nachdem seine Beziehung scheiterte, wollte Sven alles hinter sich lassen. Das war im Herbst. „Die schlechteste Zeit, Deutschland eine Chance zu geben. Das Wetter, die Dunkelheit und das trübe Gemüt der Menschen. Dagegen stand die Insel: Hell und klassenlos. Herkunft, Alter, Vorlieben, Beruf – alles egal. Dafür Freiheit…“ Sven kam zurück und blieb. Und Kohle machte er auch. Reichlich.
„‘91 habe ich die Disco im Cala Pada übernommen. Das waren wirklich lukrative Zeiten. Ich bin allerdings zwar der Traum der Marktwirtschaft, aber der Albtraum des Sparers: Das Geld habe ich gut im Umlauf gehalten.“

Die Biathlon-Nationalmannschaft musste nicht nur zum Training ran. Sie wurde auch für die Shows eingespannt
Die wirkliche Passion blieb aber der Kontakt zu den Menschen. Das Unterhaltungs- und Sport-Team, das er aufgebaut hatte, suchte auf der Insel seinesgleichen. Dieser Ruf reichte weit, auch internationale Top-Athleten kamen, um sich fit zu halten. TV-Shows nutzten das Cala Pada und die Bühnenkompetenz für Produktionen. Wichtiger als solche Erfolge war und ist Sven jedoch bei allem: „Es ist unglaublich, wie man Menschen mit meinem Beruf erreichen kann. Wir berühren Herzen, lassen sie Sorgen vergessen, machen glücklich, bringen Erfolgserlebnisse und öffnen ganz neue Seiten an ihnen. Das ist auf eine ganz eigene Weise Beistand – so gar nicht religiös… aber im besten Sinne dem gar nicht weit entfernt.“ Und so kehrte er zurück in die Animateurs-Riege. Menschen statt Millionen.

Mit Bruder Marc Benjamin
Einer der wichtigsten Menschen in seinem Leben, den Sven durch seine unbeschwerte Art zumindest ein wenig den Mut zur Kreativität mitgeben konnte, ist Marc Benjamin Puch. Der jüngere Bruder Svens ist Schauspieler und im Deutschen Fernsehen kaum wegzudenken. Die beiden verbindet eine enge Freundschaft über die Distanz hinaus. „Heute lerne ich von ihm Konstanz, an Dingen festzuhalten.“ Denn die Zeiten haben sich geändert. Auch, vielleicht sogar besonders auf Ibiza. Fast 30 Jahre Mittelpunkt des Entertainment-Universums des Cala Pada, mit einem 30-köpfigen Team, endeten mit einem harten Aufprall in der Realität, als 2014 der Cala Pada-Besitzer wechselte und Zahlen das Sagen übernahmen. 2016 packten Sven und das gesamte Team die Koffer und zogen um in den Club Cala Llenya.
Anfang 2000 waren sie noch rund zehn. Das Entertainment ist auch in der Cala Llenya wichtiger Punkt des Puch-Unternehmens. Vor allem die Kinder-Programme, die übrigens auch für Nicht-Gäste offenstehen, wenn Eltern im Inselurlaub etwas Zeit für sich haben wollen und die Kleinen unter professioneller Bespaßung parken möchten. „Ich habe mich nicht zuletzt durch meinen Bruder aber weiterentwickelt.“ Mit mehreren Firmen bietet der ältere Puch jetzt Entertainment, Sport und Ausrüstung, E-Bike-Verleih – und Coaching. Letzteres vor allem in Deutschland. „Auch da geht es darum, die Menschen tief im Inneren zu erreichen. Es ist dem Entertainment sehr ähnlich, nur dass ich Anzug trage… meistens. Denn das Wichtigste passiert in der Regel nach der Pflicht, in den Gesprächen abends an der Bar. Ich bin dann quasi Enter-Trainer.“

Moderator und Musiker Bürger Lars-Dietrich
Das Coaching entstand eigentlich als Nebenprodukt. Jetzt wird es vielleicht zur Rettung. Denn mit und nach Corona ist auch für Sven die touristisch geprägte Existenzgrundlage minimiert. Zumindest voraussichtlich für dieses Jahr. Die Motivation, neue Wege in der Zukunft zu finden, wird dagegen besonders jetzt zum vielleicht wichtigsten Punkt im Leben vieler Menschen.
Auch ohne Anzug und Schlips – und von Ibiza aus – will Sven positive Gefühle verbreiten. Mit der Ausgangssperre begann er aus seiner kleinen Finca mit Live-Übertragungen: Gitarre, Songs, Philosophieren über das, was gerade auf der Welt passiert. Immer sonntags, um 19 Uhr, bringt er Wohnzimmer-Sessions. Zu sehen live in Ton und Bild bei Facebook unter Sven Puch. Dort veröffentlicht er auch ständig neue Fotos der Insel, die auf seinen Streifzügen durch die Natur entstehen, vor allem, seit er seinen neuen Begleiter – Labrador Rayo aus dem Tierheim geholt hat. In der Ausgangssperre ist der Radius stark eingeschränkt. Und trotzdem, selbst dabei entstehen Bilder, die einen auf eine ganz besondere Art berühren. Anschauen lohnt sich, auch online unter: svenoliverpuch.picfair.com.

Heavy Metal-Star Udo Dirkschneider, dessen Sohn und Drummer Sven – der bei Sven Oliver zum ersten Mal an der Trommel saß – sowie Sven Olivers Ehefrau Lea
Die intimen Konzerte – er, die Gitarre und ein Barhocker – die er zurzeit von Ibiza aus in die Welt schickt, sind eine kleine Leidenschaft, mit denen er international auftritt.
Und auch für Entertainment-Shows wird er jenseits der Insel gebucht. „Ditte beedes verdank ick übrigens euch“, verrät Sven mir. Bei einem unserer IbizaHEUTE-Feinschmecker-Treffen, in einer Yurte auf einem Weinfeld, trat er für unsere Gäste auf. Einen Eindruck davon finden Sie, liebe Leser, hier:
Im Anschluss an unser Event wurde er direkt von einem Teilnehmer für eine private Feier in Deutschland gebucht. Der Rest ist Geschichte. Als er mir das erzählt, fällt Sven wieder ins „Berlinern“ – „Wenn ick mir sehr wohl fühl, passiert ditte…“