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Ibiza-Stadt

Was steckt hinter den Verboten?

Report: Bad Vibrations auf der Musik-Insel

Die Behörden verbieten immer öfter Live-Musik auf der Insel – und DJs dürfen auch kaum noch auflegen.

Von Roland Flier

Roland Flier setzt sich kritisch mit der Situation auf Ibiza auseinander, wo immer öfter verboten wird, was die Insel eins berühmt gemacht hat – die Musik. Roland weiß, wovon er spricht. Viele Jahre schrieb er als Musik-Experte für IbizaHEUTE. Und er veröffentlichte mit seinem Buch „Magic Rock“, wie Ibiza und Formentera zum Geburtsort genialer Musik wurde. Hier sein Bericht.

Vor ein paar Wochen starb das amerikanische Musikgenie Brian Wilson. Als Kopf und Herz der Beach Boys, jener überaus erfolgreichen West-Coast-Surfer-Band, machte Wilson mit seinen Jungs in den 60er Jahren zunächst im heimischen Kalifornien, dann in Amerika und schließlich der Welt die ganz große Welle. Die fünf Sonnyboys überzogen die maritimen Urlaubsparadiese dieser Erde mit einem kollektiven Sommer-Sonne- und Meer-Feeling, mit einem Gefühl von Freiheit und lockerem Strandleben. Mit brauner Haut und knappen Bikinis, von muskelbepackten Typen auf ihren Brettern, das auch vor den Büros und Wohnzimmern selbst der unsportlichsten Möchtegern-Surfer nicht Halt machte – und diesem hippen Freiluftsport nebenbei einen bis heute ungebremsten Boom bescherte.

Einer dieser Unsportlichen war Brian Wilson selbst, er konnte weder surfen noch sonstigen Sport betreiben. Aber er schuf Klassiker, die bis heute in den Ohren klingen. Einer aus seiner späteren Phase war „Good Vibrations“, mit dem er der Musikwelt mal wieder, innovativ wie eh und je, neue Klänge mit ausgefallenen Instrumenten und Texten sowie einem guten Schuss des gerade aufkommenden Psychedelic bescherte. Doch auch bei „Good Vibrations“ stand das, was Wilson der Außenwelt präsentierte, im krassen Widerspruch zu seinem inneren Ich: Alkohol, Drogen, Beziehungsprobleme und eine beginnende geistige Verwirrung woben ein dichtes Geflecht aus Bad Vibrations um ihn herum.

Auch wenn die Beach Boys viele Inseln bereisten und auch besangen, Ibiza und Formentera standen nie auf ihrer Bucket List – leider. Aber Wilsons Musik, die Kluft zwischen dem schönen Schein seiner Hits und seiner persönlichen schwarzen Seite, hätte die Entwicklung und den heutigen Zustand unserer Inseln nicht besser widerspiegeln können! Auch hier erfasste in den revolutionären 60er Jahren ein kollektives Bewusstsein von Freiheit, Glück und Freizügigkeit die Urlauber, Aussteiger, Hippies und Flippies, die damals scharenweise hier eintrafen. Berauscht von so viel Freiheit und anderen Substanzen, sang und tanzte man die Nächte am Strand durch, die Gitarre klang und der Joint kreiste. Nichts schien unmöglich damals – nur das Surfen, das ging hier leider nicht, denn dazu fehlte die Welle.

Was ist in den vergangenen 60 Jahren aus dieser Welle der Begeisterung, der Euphorie, der Befreiung in den Köpfen und Geistern dieser Generation von Hippies und Aussteigern, von Freigeistern und Paradiesvögeln geworden?! Wie komplett sind die good Vibrations in bad Vibrations umgeschlagen?! Ich gehöre sicher nicht zu jenen Miesepeters, die ständig das Lied vom „Früher war alles besser“ singen. Aber in den letzten paar Jahren häufen sich die Zeichen, dass Ibiza gerade im Begriff ist, das Vermächtnis seiner Pioniere komplett zu verspielen. Der Widerspruch könnte nicht größer sein: Da (ver-)ehrt man den Ibiza-Hippie mit einer bewundernswerten Bronzestatue im Hafen von Eivissa – aber die Bewunderung für ihre Musik geht in den Keller. Allenthalben wird Live-Musik unter freiem Himmel verboten, werden Musik-Events gecancelt, Musik-Kneipen mit Restriktionen überzogen und Freiluft-Musiker bestraft.

Den Gipfel bildete kürzlich jener unglaubliche Vorfall, als drei Polizisten einen jungen Mann am Strand von Benirràs aufforderten, seine Gitarre wieder ins Auto zu bringen. Der Junge hatte noch gar nicht gespielt, sein Instrument noch nicht mal aus der Tragetasche gezogen, da war der Spaß schon vorbei. Wo ist da das alte Ibiza geblieben? Was geht in den Köpfen der Menschen vor, die solche Gesetze erlassen? Was denkt der Tourist nebenan, wenn er eine solche Szene beobachtet? Ein Tourist, der vielleicht extra wegen der berühmten Trommler in diese magische Cala gekommen ist, deren traditionelles, anarchisch-freies Trommeln jahrzehntelang als eine der Sehenswürdigkeiten Ibizas Tausende Touristen angezogen und verzaubert hat, nun ebenfalls verboten oder drastisch eingeschränkt wurde.

Die „Can Jordi Blues-Station“: Erst Musikverbot, dann doch Erlaubnis – die Band muss jetzt drinnen spielen, das Publikum draußen bleiben… Foto: William Beacham.

Und das sind nur zwei Beispiele. Leider hat sich gerade die Gemeinde Sant Josep besonders hervorgetan, wenn es um das Ausbremsen von Live-Musik geht. Da wurde dem urigen „Raco Verd“ im Zentrum des Ortes eine drastische Geldstrafe aufgebrummt, weil bei einem Live-Konzert ein paar Töne die vorgeschriebene Dezibel-Grenze überschritten. Da wurde ein wochenlanges Hickhack um ein Musik-Verbot in der Rocker- und Musik-Kneipe Can „Jordi Blues Station“ an der Straße nach Eivissa vom Zaun gebrochen. Weil die Besucher den Zaun zum Nachbarn eindrückten, deren Einfahrt blockierten und an der viel befahrenen Hauptstraße gefährliche Situationen entstanden. Das hätte man ohne Verbot gütig lösen können, wollte man aber erst nicht. Zum Glück hat der vielfache Protest der Can-Jordi-Fans ein komplettes Livemusik-Verbot in der Kult-Kneipe verhindert. Jetzt darf die Show zwar weitergehen, die Band muss aber im Innenraum der Kneipe spielen und die Zuhörer dürfen draußen abfeiern – ein wirklich kurioses Schauspiel.

Natürlich gibt es auch Grenzen: Wenn ebenfalls in der Gemeinde Sant Josep ein bekannter DJ in der Cala d’Hort auf dem Plateau gegenüber Es Vedrà sein Equipment aufbaut und ohne behördliche Genehmigung in einem ganze Massen anziehenden Live-Event die Bucht beschallt, dann muss man Verständnis für das Rathaus der Gemeinde aufbringen, wenn sie dies bestraft. Zumal sich das Gelände auch noch in einem Naturschutzgebiet befindet. Ob die Geldstrafe allerdings gleich 300.000 Euro betragen muss, kann man diskutieren. Nicht aber, dass ein unangemeldetes Massen-Event in geschütztem Gebiet verboten sein muss.

Und kurz zuvor hatte dieselbe Gemeinde verfügt, dass am vor allem beim jüngeren Publikum besonders beliebten Strandclub „Sa Trinxa“ in Playa Ses Salines ab sofort kein DJ mehr auflegen darf. Jahrzehntelang hatten die Gäste hier gut gelaunt zu dessen Musik abgefeiert, nun ist auch hier Schluss damit. Man fragt sich doch: Warum darf nicht mehr sein, was jahrzehntelang gut ging und niemanden gestört hat? Und Musik darf auch weiter gespielt werden. Nicht leiser, aber eben nicht vom DJ. Was soll das?

Dies sind nur einige Beispiele dafür, wie seit einiger Zeit auf Ibiza versucht wird, der Live-Musik den Riegel vorzuschieben. Ibiza und Musik, das war in den vergangenen 60 Jahren fast wie ein Synonym. Hier lebten und urlaubten berühmte Rockstars. Hier ließen sie sich für ihre Musik inspirieren. Hier entstand der einzigartige Ibiza-Chillout-Sound. Hier wurden elektronische Musik und Techno groß. Hier war Musik ein verbindendes Glied zwischen der Insel und den Menschen. Doch leider wird dies an verantwortlicher Stelle immer mehr vergessen.

Oder schlimmer noch: Ganz offensichtlich steckt ein System dahinter, eine Agenda namens „Es sind schon viel zu viele Touristen hier, die gerne zur Musik feiern. Vergraulen wir sie doch, indem wir ihnen ihre Attraktionen nehmen. Und hoffen stattdessen auf ein exklusiveres, zahlungskräftigeres, dafür aber weniger Musik-affines Publikum.“ Oder stecken da Beschwerden der Clubs dahinter, die Musik-Gäste zu sich ziehen wollen und denen selbst die kleinen Clubs ein Dorn im Auge sind. Denn im Gegenzug erlauben die Rathäuser immer neue, größere und exklusivere Clubs mit Tausenden von Clubbern. Und in deren Schatten stirbt langsam das, was die Inseln einmal weltbekannt gemacht hat: die Freiheit der Musik unter freiem Himmel.

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