Der Chefredakteur von IbizaHEUTE berichtet an diesem Sonntag über „Semana Santa“, die heilige Osterwoche auf den Insel und rät: Sehen Sie sich die ergreifenden Prozessionen an – und Sie erleben das Herz und die Seele Ibizas und Formenteras wirklich.
Liebe Leser,

heute ist Palmsonntag. Auf Ibiza und Formentera – und in ganz Spanien – beginnt „Samana Santa“, die heilige Osterwoche. Sie ist das größte und heiligste Fest der katholischen Kirche und der Gläubigen. Schon heute gehen Prozessionen durch die Inselorte. Dabei halten die Menschen – von kleinen Kindern bis zur Oma in Tracht – kunstvoll geschnitzte Palmenwedel in den Händen. Diese Prozessionen sollen an den Einzug Jesu in Jerusalem erinnern. Dort bereiteten ihm von rund 2000 Jahren die Menschen einen begeisterten Empfang. Die feierten ihn als neuen König der Juden, der das Land von den verhassten römischen Besatzern befreien würde.
Schon am Palmsonntag spürt man diese tiefe Bedeutung der Osterwoche für die Ibizenkos. Es ist tiefe Gläubigkeit, aber nicht nur. Es ist auch die Tradition, die tief in den Menschen verwurzelt ist. Die zeigt sich immer mehr in den kommenden Tagen und hat den berührenden Höhepunkt am Karfreitag, am Tag, an dem Jesus am Kreuz starb. In den Inselorten finden die Grablegens-Prozessionen statt. Am ergreifendsten ist dieser Trauerzug in den Gassen von Dalt Vila, in der Festungsstadt von Eivissa.
Von der Kathedrale zieht die Prozession bis in die Kirche des Hafenviertels La Marina. Vermummte Männer – aber auch Frauen – tragen die mit Blumen und Lampen geschmückten schweren Heiligen-Figuren durch die schmalen Gassen. Sie werden begleitet von Musikkapellen mit kreischenden Fanfaren und dumpfen Trommelschlägen. Die Glocken der Kirchen läuten.
Dann plötzlich die schrille Stimme einer Frau, die das Leid über die Kreuzigung Jesu hinausschreit. Der Zug hält an. Die Trommeln verstummen. Solange, bis auch die Frau schweigt. Dann setzt sich die Prozession wieder in Bewegung. Menschen sind dabei, die als Büßer den weiten Weg von oben bis unten auf nackten Füßen gehen. Manche haben sogar Ketten um die Fußgelenke gelegt, die klirrend über die Jahrhunderte alten Pflastersteine gezogen werden. Büßer möchte sich strafen. Auch der, der ein Holzkreuz trägt.
Glauben Sie mir, das sind Augenblicke, die mir als Zuschauer immer wieder Gänsehaut bescheren. Auch nicht selten feuchte Augen. Mich berührt diese Hingabe der Menschen im Trauerzug. Mich berühren auch die ernsten Gesichter der Zuschauer, bei denen nicht nur Frauen weinen. Ich habe das Gefühl, ganz tief in die Seele der Menschen und der Insel zu schauen. Und ihnen auch nahe zu sein.
Hier sind auch viele junge Menschen dabei. Viele von Ihnen werden wohl am Ostersamstag zum Tanzen in die Clubs gehen, von den viele jetzt an Ostern öffnen. Sie werden abtanzen, feiern – und wahrscheinlich nicht unbedingt am Sonntag in die Kirche gehen. Aber hier sind sie dabei. Nicht, weil es erwartet wird. Nein, es ist ihr Bedürfnis.
Vor einigen Jahren haben wir eine Reportage über die Vorbereitung zu dieser Trauer-Prozession veröffentlicht. Wir erlebten, wie gerade die jungen Frauen und Männer mit Ernsthaftigkeit dabei sind. Wie sie ihre Freizeit opfern und auch höchste körperliche Anstrengung auf sich nehmen, um die christliche Tradition weiter leben zu lassen.
Bei solchen Momenten wie bei der Prozession ist das Ibiza der Stände und Beach-Clubs, der wilden Partys und das Ibiza des großen Geldes ganz, ganz weit weg. Man erlebt, wie wirklich Herz und Seele der Inseln sind. Mich erfüllt das immer wieder mit ungeheurem Respekt vor den Menschen auf der Insel, vor ihrer Geschichte und Tradition.
All das, was ich immer wieder versuche, in unseren Berichten in IbizaHEUTE – Magazin wie Online – unseren Lesern zu vermitteln: Ibiza ist eine Insel mit langer Geschichte, langer Tradition. Hier gab es schon in der Antike eine hohe Kultur. Wir sollten dem mit Respekt begegnen. So, wie es sich für Gäste gehört, die einmalige schöne Inseln und einmalige gastfreundliche Menschen erleben dürfen.
Neben den Karfreitags-Prozessionen sind auch die Passions-Spiele am Samstagmorgen in Santa Eulària sehr ergreifend. Dort wird der Kreuzweg von Laien-Schauspielern nacherlebt. Dabei trägt die Jesus-Figur umgeben von römischen Soldaten und angetrieben vom Henker sein Kreuz von unten den Kirchenberg Puig de Missa hoch, wo er dann Kreuz gebunden wird.
Wenn Sie dieses Ibiza andere – aber wahre Ibiza – erleben möchten, sehen Sie sich beides an: den Kreuzweg und abends die Prozessionen. Sie gibt es in Sant Antoni, in Santa Eulària und – wie schon beschrieben – in der Festungsstadt.
Lassen Sie sich von den Gesichtsmasken und den spitzen Hüten der Männer und Frauen nicht schocken, in der Prozession nicht schocken. Es sieht gespenstig aus. Und so wurden auch in dunklen Zeiten der Inquisition zum Tode Verurteilte unter Vorwand des christlichen Glaubens zum Scheiterhaufen geführt. Aber hier auf Ibiza geschieht es aus Demut: Niemand soll sehen, wer die Ehre hatte, eine der Heiligen-Figuren zu tragen. Und auf Ibiza loderten nie die Scheiterhaufen. Hier wurden im Mittelalter viele Juden von Mallorca aufgenommen und konnten friedlich leben, denen auf Mallorca die Verbrennung drohte. Ibiza war schon im dunklen Mittelalter ein Ort der Toleranz und Menschlichkeit.
Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag und eine gute Osterwoche. Auf Ibiza und Formentera ist Semana Santa besonders berührend; dabei zu sein ist ein Erlebnis, das man wohl nie mehr vergisst.