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Editorial von Dieter Abholte: Wie ich es sehe…

Editorial

Weihnachtsmarkt auf dem Vara de Rey. Foto: MBA

Unser Chefredakteur schreibt über den Umbau des Platzes Vara de Rey auf Ibiza. Über Politiker, die einen Ort verschandeln und nie zur Rechenschaft gezogen werden und über die Weihnachtsbeleuchtung, die auch Hässliches für Stunden erträglich macht.

Liebe Leser,

Dieter Abholte

es weihnachtet sehr – auch auf Ibiza. Gestern Abend wurde in der Insel-Hauptstadt Eivissa die Weihnachtsbeleuchtung eingeschaltet. Der große Lichterbaum thront über dem altehrwürdigen Platz Vara de Rey, der vor ein paar Jahren umgebaut wurde. Für viel Geld und mit wenig Fantasie. Ich vermisse den alten Platz mit den ausgetretenen Stufen, den Bänken, wo um diese Zeit die alten Ibizenkos saßen und den neuesten Klatsch austauschten, über die Fußballergebnisse von Samstag diskutierten und von früheren Zeiten schwärmten. Für mich war das mein Vara de Rey – der Dorfplatz in der kleinen Stadt.

Heute ist der Platz im Winter für mich seelenlos, eine graue Fläche, bei der schon die Ecken der Natursteine auf dem Boden abbrechen, und die Reste von Cola oder Eis hässliche Flecken hinterlassen haben. Ich hatte bei einem Interview mit dem damaligen Bürgermeister das Thema Umbau Vara de Rey angesprochen. Der Platz ist übrigens nach einem spanischen Offizier benannt, der beim Spanisch-Amerikanischen Krieg auf Cuba die Stadt El Caney lange gegen die überlegene amerikanische Übermacht verteidigte.

Heldenhaft nennt man das in der Sprache des Krieges. Wobei die Tausende von Toten verschwiegen werden, die bei solch angeblich heldenhaften Taten ihr Leben verloren. Wir erleben das aktuell bei den furchtbaren Kriegen in Gaza und der Ukraine, deren schreckliche Bilder täglich über die TV-Schirme flimmern und mehr und mehr abstumpfen. Grausamkeit wird zum Alltag. Aber zurück zu Vara de Rey, dem Kriegshelden, der 1841 auf Ibiza geboren wurde, und 1898 auf Cuba starb. Zurück auch zum umgebauten Platz und zu meinem Interview mit dem damaligen Bürgermeister.

Stolz berichtet er mir, dass die Stadt für den Umbau des Platzes einen berühmten italienischen Architekten gewonnen habe, der auch in Florenz Plätze umgebaut habe. Nun kann man die Millionenstadt Florenz nicht unbedingt mit dem eher dörflichen Eivissa vergleichen. Eigentlich musste es schiefgehen, wenn ein Großstadt-Architekt in einem Dorf tätig wird. Und aus meiner Sicht ging es schief. So schief wie der Umbau der Hafenpromenade.

Der Platz heute: vor allem eine große Fläche, wie in einer Großstadt. Das Romantisch-Dörfliche ist verschwunden. Das mag im Sommer noch gehen, aber im Winter ist es trostlos. Foto: Rüdiger Eichhorn

Für mich wäre die “alte” Vara de Rey ein Platz mit echtem spanischem Leben. Mit einem Zeitungskiosk, in dem man seine Zeitung – auch IbizaHEUTE – kauft. Sich dann auf eine der Bänke im Schatten der alten Bäume oder in eins der kleinen Cafés setzt, seinen Kaffee, von mir aus auch einen „Caffè Carajillo“ (mit Brandy) trinkt und seine Zeitung liest. Übrigens, der Caffè Carajillo kommt auch von Cuba. Damit tranken sich die spanischen Soldaten morgens Mut an, bevor sie in die Schlacht zogen. Da war aber der Schuss Rum statt Brandy obligatorisch…

Aber statt spanischem Leben und der Gemütlichkeit einer Kleinstadt gibt es auf einem seelenlosen Platz jetzt vor den Restaurants Pavillons mit Stühlen und Tischen, die im Sommer meist von Touristen besetzt sind – im Winter meist leer bleiben – oder abgebaut wurden. Ja, man hat den Platz Vara de Rey neu gestaltet – aber man hat ihn tot gestaltet! Mit ihm starb auch das vorherige bunte Leben rund um den Platz. Das große Zeitungsgeschäft ist so verschwunden wie andere kleine Läden, wo die Inhaber liebevoll bedienten. Sie alle konnten die extrem angehobenen Mieten nicht mehr zahlen.

So kamen dann teure Läden und Mode-Ketten. Der alte Charme wurde verdrängt von Seelenlosigkeit und Leere. Jetzt haben wir dort Luxushotels mit Dachterrassen, von denen man beim Cocktail oder dem Glas Wein einen – zugegebenermaßen – guten Blick auf den Platz und die Mauern der Altstadt hat. Das mag vielen Besuchern gefallen. Aber mir war die Bank mit den alten Ibicencos lieber. Auch die krummen zwei oder drei Stufen, die zum höher gelegenen Innen-Platz führten.

Oft habe ich mir vorgestellt, wer im Laufe der Jahrhunderte schon alles über die Stufen gegangen ist und sie glatt geschliffen hat. Verliebte Pärchen, die sich heimlich abends auf einer der Bänke küssten. Alte Frauen, die sich tagsüber in der Winter-Sonne wärmten, weil ihre Wohnungen kalt und feucht waren. Fischer, die über den Fang diskutierten. Teenager, die sich zum ersten Mal verliebten und mit Schmetterlingen im Bauch scheue Blicke riskierten. Aber vielleicht bin ich ja ein Romantiker, der hoffnungslos am alten Ibiza hängt. Aber mir tut weh, wenn Seele der Seelenlosigkeit weichen muss.

Und wer trägt die Verantwortung, wenn einem Ort die Seele genommen wird? Der oder die Politiker, die das beschlossen haben? Eher nicht! Der verantwortliche Bürgermeister wurde abgewählt. Das ist in der Politik meist die einzige Konsequenz – ob in Spanien, Deutschland oder Österreich. Meist taucht er dann kurze Zeit später wieder auf und hat einen neuen und gut bezahlten Führungs-Job bei einem staatlichen oder städtischen Betrieb. Man hat ja Freunde, die einen nicht fallen lassen oder gar in die Wüste schicken. Schließlich hat man auch für sie zu Zeiten des eigenen Amtes und großen Einflusses einiges für sie getan. Das Verbrechen „Verunstaltung eines Ortes“ steht wohl in keinem Gesetzbuch dieser Welt …

Schluss mit dem Ärger. Heute ist Sonntag und ein schöner Tag mit fast blauem Himmel auf Ibiza und Formentera. Am Abend werden in der Stadt und auf dem Vara de Rey die Lichter der Weihnachtsbeleuchtung und der kleinen Weihnachtsmarktes brennen. Und dann sieht der Platz Vara de Rey für ein paar Stunden eigentlich ganz hübsch aus …

Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag und eine gute Woche.

Herzlichst, Ihr Dieter Abholte

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