19.4 C
Ibiza-Stadt

Editorial von Dieter Abholte: Wie ich es sehe…

Dieter Abholte

Liebe Leser,

erst einmal wünsche ich Ihnen allen einen besinnlichen und schönen Heiligabend, wo immer Sie sind. Am besten natürlich im Kreis derer, die Sie lieben und bei denen Sie sich geborgen fühlen. Das alles ist viel, viel wichtiger als große, teure Geschenke. Denn Liebe kann man sich nicht kaufen, sie wird geschenkt – und verschenkt.

Weihnachten ist auch das Fest des Friedens. Aber wo ist dieser Friede? In Gaza und Israel sterben weiter Menschen. In der Ukraine liegen Soldaten in ihren eisigen Schützengräben statt bei ihren Familien zu sein. Viele Menschen auf der Welt werden auch über Weihnachten unter Bomben, Granaten und Gewehrkugeln sterben. Friedliche Weihnachten…

An Tagen wie diesen denke ich zurück, weit zurück – an unsere und meine Träume. Ich gehöre zur 1968er-Generation. Das wird vielleicht nur den Älteren unter uns etwas sagen. Wir gingen damals auf die Straße, um gegen Intoleranz und eine für uns unerträgliche Politik zu demonstrieren. Homosexualität wurde mit Gefängnis bestraft. Abtreibung verzweifelter Frauen und Mädchen erst recht. Ließen Eltern ein junges Paar ohne Trauschein bei sich übernachten, drohte ihnen das Gesetz mit Zuhälterei. Dazu der unerträgliche Krieg in Vietnam, wo Menschen, auch unschuldige Frauen und Kinder, von Phosphor-Bomben verbrannt wurden.

Wir gingen auf die Straße, forderten Toleranz, träumten von Frieden auf der Welt und dem Frieden in unserer Gesellschaft. Und genau 1968 kam ich zum ersten Mal nach Ibiza. Als junger Reporter für ein großes deutsches Magazin. Und ich erlebte auf Ibiza die Freiheit, den Frieden und die Toleranz, für die ich auf die Straße gegangen war. Hier saßen Hippies und Bauern zusammen in der Bar Anita. Hier waren die jungen US-Amerikaner in Sicherheit, die aus den Staaten geflohen waren, um nicht nach Vietnam zu müssen. Hier spielten Kinder aller Hautfarben mit einem alten Ball in den Gassen des Hafenviertels Fußball.

Im Hotel „El Corsario“, oben in Dalt Vila, trafen sich die Künstler. Die Maler und Literaten, die vor den Schergen des Diktators Franco auf das tolerante Ibiza geflohen waren. Klar gab es hier auch die gefürchtete Guardia Civil. Aber sie kümmerte sich nicht besonders eifrig um die Vorschriften des fernen Madrid. Sie schauten lieber danach, ob am Strand ein Hippiemädchen oben ohne oder nackt am Meer lag. Viel mehr hatten sie nicht zu tun. Kriminalität! Was ist das? Schlüssel zu den Häusern oder fürs Hotelzimmer? Gab es fast nie, aber den Kommentar: Auf Ibiza wird nicht gestohlen.

Da hat sich leider viel geändert. Der Tourismus zog die Kriminalität nach sich – und die hatte es auf der eher unschuldigen Insel leicht. Hütchenspieler kamen, Taschendiebe, dann die Banden der Einbrecher – meist Ausländer – angeführt von Osteuropäern und Nordafrikanern. Die Musik-Szene brachte Drogen auf die Insel, die Nachfrage nach Drogen die Drogenhändler. Dazu die italienische Rolex-Bande, die reichen Touristen die teure Uhr vom Handgelenk riss. Gab es vorher natürlich nicht. Kein Ibizenko trug normalerweise eine Uhr, eine Rolex schon gar nicht. Hier war man froh, wenn es Weihnachten und Ostern Fleisch gab. Ibiza war eine arme Bauern-Insel, vor dem Tourismus.

Lange ist es her. Und verstehen Sie mich nicht falsch: Ich gehöre nicht zu denen, die sagen: Früher waren Ibiza und Formentera Paradiese. Waren sie, wenn man an die Natur denkt. Aber sonst nicht: Am Hafen stank es entsetzlich, weil dort die Abwässer direkt eingeleitet wurden. Das Gesundheitssystem war so katastrophal, dass niemand ins Krankenhaus wollte. Dort starb man eher, als dass man gesund wurde. Es gab nur zwei oder drei Tankstellen und miserable Straßen, gemacht für die Breite eines Eselskarrens…

Ja, das alte Ibiza ist mit dem Tourismus verschwunden. Aber eins ist geblieben. Nämlich das, was viele Menschen damals gesucht haben: die Freiheit und Toleranz, das friedliche Zusammenleben. „Du bist frei! Du kannst tun und lassen, was du willst – solange du nicht die Freiheit anderer Menschen beeinträchtigst!“, das ist der Leitsatz der Insel. Egal, welche Hautfarbe man hat. Egal, an welchen Gott man glaubt – oder nicht glaubt. Egal, wie viel Geld man hat. Genau das, wonach wir damals gesucht hatten. Ich habe es auf Ibiza gefunden. Deshalb kam ich immer wieder auf die Insel und blieb…

Wenigstens ein Teil meiner Träume ist – mit Einschränkungen – Wirklichkeit geworden. Viele, viele, andere leider nicht. Nicht die Träume von Frieden auf der Welt. Nicht der Traum, dass Europa eins werden würde. Nicht der Traum, dass alle Menschen – auch in unserem Land – genug Einkommen haben, um vernünftig leben zu können. Wenn ich die vielen Bedürftigen vor den Lebensmittel-Ausgabestellen sehe, kann ich es kaum fassen.

Das sind meine Gedanken heute, am Heiligabend. Nachher werde ich mit der Familie unter dem Weihnachtsbaum feiern und weiß, dass ich zu den Glücklichen dieser Welt gehöre, ein friedliches, harmonisches Fest zu erleben. Ich hoffe, auch Sie haben ein frohes Weihnachtsfest. Und würde der „Gedanke Friede auf Erden“ auch nur ein wenig erfüllt werden, wären wir alle wirklich glücklicher.

Herzlichst Ihr Dieter Abholte



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